Nun, eine Schreibtischtrilogie zu schreiben ist eigentlich etwas witzlos, denn wer hat denn heutzutage noch einen festen Schreibtisch? Man hat einen Laptop, mit dem man durch die Co-Workingspaces und Cafés dieser Welt nomadisiert. That’s it. Auch ich bin da keine Ausnahme mehr: Die Welt ist mein Schreibtisch! Das Büro ist in uns. So sitze ich z.B. gerade an einem alten Küchentisch in einer Plattenbausiedlung einer osteuropäischen Großstadt und die Sonne scheint mir auf den Bildschirm. Vielleicht nehme ich auch gleich meinen Laptop und setze mich in ein Szenecafé in der Innenstadt und arbeite dort Cappuccino schlürfend weiter. Wie geil ist das denn? Vor der Abschaffung der Schreibtische (und deren dadurch geschaffene Omnipräsenz, die ins Virtuelle spielt), sah das aber noch ganz anders aus. Und das erinnert mich an eine kleine Geschichte, die ich nicht vorenthalten will.
Vor einigen Jahren hatte ich dieses Freelancerleben mal wieder satt und hab mich auf eine feste Stelle beworben, bei einer dieser schicken Internetklitschen, die in umgebauten Industriebauten residieren. Es war kurz vor Weihnachten, das Wetter war mies und ich fühlte mich auch mies. Ich schlurfte im Nieselregen über den verlassenen Straßenbahnring bis ich endlich den Eingang zu dem Betrieb gefunden hatte. Was mich erwartete, war ein hochmodernes Büroparadies, das mich mit staunender Ehrfurcht erfüllte – und das sollte es wohl auch. In der Lounge hing ein riesiger Elchkopf über einem Kamin, in dessen leeren Augen sich einige Softwareentwickler spiegelten, die sich darunter auf mondänen Ledersofas fläzten, um sich von den Strapazen des Kickerns zu erholen. Eine freundliche Dame führte mich in einen ebenso mondänen Meeting Room, bot mir Kaffee an, bevor ich dann u.a. von einem Mittzwanziger in die Zange genommen wurde. Aber das ist gar nicht der Punkt hier. Der Punkt ist ein ganz anderer: Während mich die Kaffeetante durch die riesigen Großraumbüros lotste, sah ich überall mächtige Mahagonischreibtische, an denen verloren wirkende Gestalten mit Kopfhörern an ihren Laptops saßen, und die kaum aufblickten als ich vorbeiging. Es herrschte eine fast unheimliche Stille. Aber das wirklich Unheimliche war: Die Schreibtische waren bis auf die Laptops leer! Die Kaffeetante erzählte mir stolz, dass es bei ihnen total modern zuginge: keine festen Arbeitsplätze für niemanden, weit und breit kein Papier mehr und natürlich free softdrinks für alle. Ich aber war geschockt. Diese leeren Schreibtische strahlten noch weniger Vitalität aus als die Augen des armen Lounge-Elchs (war der überhaupt echt?!) Wie soll man da arbeiten? Bisher hatte ich leere Schreibtische immer für ein Zen-Koan gehalten. Aber anscheinend gab es sie wirklich. Doch war diese Erfahrung wie wenn man in einen leeren Spiegel blickt. Als ich so darüber nachdachte und der Kaffeetante weiter hinterher trottete, hatte ich eine Erleuchtung, die mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf. Leider kann ich das nicht in Worte fassen, wie das halt so ist, wenn man ein Fitzelchen vom Nirwana erblickt. Das muss jeder selbst tun. Aber ihr könnt es euch ja denken.
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