Der natürlich Feind der Freelancer ist die Deadline. Sie ist das Damoklesschwert unter dem er/sie arbeitet. Und nicht nur er/sie, auch Normalsterbliche kommen von Zeit zu Zeit in diesen zweifelhaften Genuss. Und doch kann er nicht ohne sie, denn sie ist geradezu eingeschrieben in die Definition von Auftragsarbeit. Wer niemals eine Deadline zu erfüllen hat ist wohl kein Freelancer, sondern ein sehr glücklicher Mensch und mit großer Wahrscheinlichkeit freischaffender Künstler oder Pensionär. Die Deadline ist aber nicht nur Fluch, sondern auch Segen. Na ja, zumindest so etwas ähnliches. Sie ist das einzige bekannte Korrektiv zu hartnäckiger Prokrastination und anderen Arbeitsblockaden (kranke Kinder, vernachlässigte Ehepartner, durchzechte Nächte), allerdings nur zu oft mit eher bescheidenen Heilungsaussichten. Auch hier trifft der englische Ausdruck die Sache mal wieder besser als das deutsch-verniedlichende „Frist“, denn „Todeslinie“ klingt wirklich ernst. Existenziell. Gar Lebensbedrohlich. Natürlich sind geplatzte Deadlines vielfach harmloser als man gemeinhin denkt („Ah, okay, nun, dann halt nächste Woche, kein Problem…“), ganz im Sinne einer alten Schachspieler-Regel: „Die Drohung ist stärker als die Ausführung“. Aber wer jemals Deadline-Panik in einer durchgearbeiteten, koffeingeschwängerten Nacht hatte, weiß, wovon die Rede ist. Und das Schlimme: Man gar nichts dagegen tun! Ein durch und durch psychologisches Phänomen, bei dem wir schäfchen-dämlich regelmäßig in unsere eigene Falle tappen. Ganz ähnlich dem Effekt, dass diejenigen, die am nächsten zum Treffpunkt wohnen, immer als letztes eintrudeln, denn ist ja „sooo nah“. Der Mensch scheint ein paar kleinere Probleme mit der Einschätzungen von Zeitspannen zu haben. Entweder wiegt er sich im Gefühl, dass es ja noch „ganz entspannt“ viel Zeit sei oder es ist bereits zu spät. Im Angesicht der Deadline hat man entweder zu viel oder zu wenig Zeit. Eine goldene Mitte gibt es nicht. Die wahre Deadline ist also eigentlich dort, wo man erkennt, dass man die Deadline nicht mehr halten kann. Und das war bei der ersten Deadline der Geschichte auch schon so.
Interessanterweise führt uns die Recherche wieder in den Wilden Westen, (der Heimat der einzig coolen Freelancer, der Revolverhelden, s. „Edbeeren mit Senf“), genauer zum amerikanischen Bürgerkrieg. Forscht man ein wenig im Internet findet man Überraschendes, denn, siehe da, die Deadline ist die Erfindung eines Schweizers! Eines Arztes (ohne Abschluss) im Dienste der Konförderierten Armee (yep, das waren die Kollegen von Rhett Butler), der in Georgia, ein übles Kriegsgefangenenlager geleitet hat. Ein wahrhaft fürchterlicher Ort. Man mag das gar nicht erzählen, aber da müssen wir jetzt durch, sorry. Dieses Camp war 1864 für ein paar Monate die fünftgrößte Stadt im amerikanischen Süden mit über 45.000 Gefangenen, die dort wie Tiere eingepfercht zu Tausenden an Hunger und Krankheiten starben. Der in Zürich geborene Heinrich („Henry“) Hartmann Wirz war der Kommandant dieser Lagers und für die ganze Sauerei verantwortlich, weswegen ihm auch in Washington der Kriegsverbrecherprozess gemacht wurde, auch wenn nachher Zweifel an seiner wahren Schuld aufkamen. Auf dem Areal des Lagers gab es nun einen inneren Zaun, ein paar Meter von dem umschließenden Holzpalisaden entfernt, den kein Gefangener überschreiten durfte ohne Gefahr zu laufen sofort erschossen zu werden. Man ahnt es schon: Das war die erste Deadline…
Nun, diese Zeiten sind ja zum Glück vorbei (von solchen Scheußlichkeiten wie Guantanamo mal abgesehen), aber die Tragik der ersten Deadline scheint einige schwarz-humorige amerikanische Zeitungsleute in den 1920er Jahren angeregt haben, den Redaktionsschluss als „Deadline“ zu bezeichnen. Nun, der Rest ist Geschichte und wir müssen immer noch mit der perfiden Idee eines Schweizers herumschlagen! (Nichts gegen die Schweizer natürlich, ein durchaus sympathisches Völkchen.)
Vielleicht sagen wir in Zukunft doch lieber wieder „Frist“?
P.S. Tausend Dank an Gerald für die größzügige Deadline für diesen Beitrag („vielleicht nächste Woche oder so?“). So macht Arbeiten Spaß!
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